#39 Was zwischen uns tritt, uneingeladen
- Rosemarie

- vor 2 Tagen
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 2 Tagen

- Big part of becoming an adult
is unlearning a lot of the shit you were taught by people
who didn't know what they were doing either. -
Du und ich.
Spazieren. Reden. Viel. Lange.
Stundenlange Leichtigkeit. Lachen. Interesse. Unvernunft. Nähe.
Eine ganze lange Weile.
Und dann sind wir plötzlich nicht mehr zu zweit.
Wir haben Gesellschaft bekommen.
Uneingeladen steht plötzlich jemand zwischen uns.
Wir sind zu dritt.
Du selbst bemerkst es nicht.
Du hörst es nicht, spürst es nicht.
Du bist noch da – und gleichzeitig ganz weg.
Hast plötzlich Sendepause.
Wurdest eingenommen.
Bist nicht mehr du selbst.
Ich nehme das Dritte zwischen uns wahr, es ist komplett anders als du.
Groß. Übermächtig. Laut. Schneidend. Kalt. Hart. Bedrohlich. Lieblos. Unerbittlich. Starr. Das, was ich plötzlich spüre, lässt mich zusammenzucken.
Ich ziehe mich zurück. Wie eine Schnecke schützend in ihr Haus.
Werde kleiner. Mache mich bewusst kleiner. Passe mich an. Werde netter und glatter.
Biete so wenig Angriffsfläche wie mir nur irgendwie möglich.
Auch ich bin nicht mehr ich selbst.
Und damit sind wir zu viert.
Automatisch habe auch ich jemand anderem Platz gemacht.
Bin erst mal weg. Weit weg. In Sicherheit.
Ich halte nur noch sehr, sehr zaghaft Verbindung.
Will mich nicht noch einmal so sehr verletzen lassen.
Mich nicht wieder ohnmächtig fühlen. Ich kenne diesen alten Schmerz zu gut.
Der von dem großen, Übermächtigen kommt.
Ich erlebe mich wieder so vertraut sprachlos.
Wir sind zu viert.
Mein Kopf kann es benennen: Introjekte.
Sie haben unsere Bühne übernommen.
Spielen nun die Hauptrollen. Wir sind nur noch Statisten in u n s e r e r Begegnung.
Introjekte – die damaligen Stimmen aus unserer nahen Umgebung, die in uns weiterleben. Worte und Energien übernommen, verinnerlicht, zu eigen gemacht.
Um selbst nicht weiter verletzt zu werden.
Ein vergangenes Echo, das noch immer wirkt, das heute noch mitsprechen will.
Zeitschleifen verschieben sich, überlagern sich.
Sie erzählen unsere Geschichte, ohne dass einer von uns sprechen müsste.
Vorher war zwischen uns Spielraum und Bewegung, nun haben Kanten und Spitzen Raum eingenommen, bereit, Abstand zu sichern. Verhärtet halten sie uns auf sicherem Abstand.
Ungefragt, ungebeten.
Nicht alles ist schlecht: Durchhalten. Weitermachen. Funktionieren.
Vieles konnte in unserem Leben erst dadurch gelingen.
Das darf gewürdigt werden. Es darf bleiben und bewusst gelebt werden.
Und gleichzeitig bleibt da beharrliche die leise Frage: Was hat es uns auch gekostet, noch immer so zu leben?
Wir sind zu viert.
Weil einer von uns sich verletzlich und echt gezeigt hat. Mit allem.
Ein Moment in dem bewusst, alle Schilde gesenkt wurden.
Das war der Trigger – einmal ausgelöst, gab es keine Wahl und kein Zurück mehr.
Wir werden beide hinein geschleudert in längst vergangenes Erleben.
In veraltete Schutzmechanismen.
Damals: Du und ich konnten nicht.
Unsere Eltern nicht.
Unsere Großeltern auch nicht.
Sie mussten funktionieren. Überleben.
Im wahrsten Sinne.
Krieg.
Kollektive Themen.
Unbewusst weitergegeben.
Sie wussten es nicht besser. Haben es nie hinterfragt.
Konnten vielleicht auch nicht. Hatten nicht mehr die Kraft.
Kollektive Traumata werfen noch immer ihre Schatten in unsere Gegenwart.
Obwohl das damals vorbei ist.
So stehen plötzlich zwei Menschen da.
Werden nach einem Trigger umzingelt von vergangenen Themen, um die keiner gebeten hat.
Themen, die nichts mit dem Hier und jetzt zu tun haben.
Weder mit dir und mir. Nicht mit uns.
Und doch verwoben mit der Geschichte unserer Familien.
Wir waren damals klein und allein.
Mit wem hätten wir reden sollen?
Über was auch?
War doch normal. War doch alles gut.
„Aus uns ist auch was geworden.“
„Über so etwas spricht man nicht.“
„Geschadet hats ja keinem.“
Bla bla bla.
So blieb man allein. Noch heute.
Das kollektive Drama des Familiensystems lebt schwer in einem, wie ein alter, muffiger Schwamm, der sich vollgesogen hat und immer noch mitgetragen wird.
Schwer vom Gesammelten, so lange gehalten, dass man fast vergessen hat, dass man ihn auch auswringen kann.
Das hat dich und mich stark gemacht. Unglaublich stark.
Wir können alles alleine tragen.
Alles.
Alleine.
Ahh waahhh geht doch, wir mussten ja. Es ging doch so lange.
Immer alleine gegen alles und jeden.
Das macht müde... leer.
Denn wo dieser alte Schwamm noch immer Raum einnimmt, ist kaum Platz für einen selbst.
Der Preis: immer weiter. Langsamer werden oder still werden – ein No-No.
Der Preis: Nähe nur dort, wo sie nicht zu tief geht und nicht zu echt ist.
Der Preis: ein Sich-Zeigen und sich Zumuten in Dosierungen, weil ganz man selbst zu sein war nie gut.
Investiere nun in Wahrnehmen. Spüren. Gegenwärtigsein.
Bemerke: Du bist heute schon lange nicht mehr klein und allein.
Finde Worte für dein Inneres.
Unterscheide zwischen damals und jetzt.
Nähe darf nach und nach als nicht-bedrohlich erlebt werden.
Die Schützengräben dürfen gegen Gartenzäune eingetauscht werden.
Und in Momenten purer Begegnung darf das, was schützte und begrenzte, langsam an Spannung verlieren.
Echtes Gesehenwerden wird dort möglich, wo wir uns selbst nicht mehr verlassen.
Wirkliche Begegnung entsteht dort, wo beide wahrnehmen,
wenn das Echte zwischen ihnen droht trüb zu werden.
Wenn beide erkennen, wer uneingeladen zwischen ihnen steht,
und nicht länger zulassen, dass es bleibt und sich ausbreitet.





